
17. Dezember
Die Eule im ersten Schnee
Der erste Schnee fiel in der Nacht.
Leise, fast heimlich, hatte er den Wald in ein weiches Weiß gehüllt. Als der Morgen kam, knirschte der Boden unter jedem Schritt, und alles glitzerte, als hätte jemand Sterne auf die Erde gestreut.
Hoch oben in einer alten Fichte saß die Eule Alva. Sie blinzelte verschlafen und schüttelte ein paar Schneeflocken aus ihrem Gefieder. Alva liebte den Winter. Wenn der Wald still wurde und selbst der Wind nur noch flüsterte, fühlte sie sich den Geheimnissen der Welt besonders nah.
Doch an diesem Morgen hörte sie etwas Ungewöhnliches.
Ein leises Schluchzen drang aus dem Wald, kaum lauter als das Fallen einer Schneeflocke.
Alva breitete ihre Flügel aus und glitt lautlos zwischen den Bäumen hindurch. Unter einer kleinen Tanne entdeckte sie ein Rehkalb. Es zitterte, und seine großen Augen blickten ängstlich umher.
„Ich habe meine Mutter verloren“, flüsterte das Kalb. „Der Schnee hat alle Spuren zugedeckt.“
Alva setzte sich auf einen niedrigen Ast. „Der Wald vergisst nichts“, sagte sie ruhig. „Man muss nur lernen, anders zu sehen.“
Gemeinsam warteten sie. Alva lauschte mit ihren scharfen Ohren, hörte das Knacken eines Zweiges, das leise Schnauben in der Ferne. Dann flog sie ein Stück voraus, das Reh folgte vorsichtig. Schon bald tauchte zwischen den Bäumen die Mutter auf, erleichtert und ruhig.
Als sie sich wiedergefunden hatten, blieb Alva noch einen Moment sitzen. Über dem Wald ging der Abend auf, und der Schnee begann im Licht des Mondes zu funkeln.
In diesem Augenblick wusste Alva:
Der Advent war da. Nicht laut, nicht eilig – sondern still, helfend und voller kleiner Wunder.
Und während der Wald langsam einschlief, saß die Eule wieder in ihrer Fichte und bewachte die leise Hoffnung, die im Schnee verborgen lag.
